Bei einer Verkehrsunfallregulierung sind die in § 17 StVG enthaltenen Grundsätze zur Haftung, insbesondere zur Haftungsabwägung maßgeblich. Für die Haftung des vermeintlichen Unfallverursachers hat der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast, die strengen Anforderungen unterliegt. Kann ein wesentlicher Punkt zur sog. haftungsbegründenden Kausalität nicht aufgeklärt werden, wird zum Nachteil der beweisbelasteten Person entschieden.

Eventuell spricht für den Beweisbelasteten aber ein sog. Anscheinsbeweis, dass also bei einem typischen Ablauf von einer bestimmten Ursache auf eine bestimmte Folge oder umgekehrt von einer bestimmten Folge auf eine bestimmte Ursache geschlossen wird. Dies kann sowohl bei der Kausalität, als auch bei der Frage des Verschuldens der Fall sein. Voraussetzung ist also die sog. Typizität, ein typischer Geschehensablauf.  Der jeweilige Gegner kann diesen Anscheinsbeweis dann wieder dadurch erschüttern, dass er darlegt und beweist, dass im konkreten Fall ein atypischer Geschehensablauf gegeben war.

Ein solcher typischer Geschehensablauf wird unter anderem bei Unfällen im Zusammenhang mit einer Rückwärtsfahrt vermutet. Im Wege des Anscheinsbeweises wird also davon ausgegangen, dass der Zurücksetzende gegen seine Sorgfaltspflichten nach § 9 Abs. 5 StVO verstoßen und dadurch den Unfall verschuldet hat. Bei einer Kollision auf einem (privaten aber öffentlich zugänglichen) Parkplatz, etwa eines Supermarktes, bei dem beide Fahrzeuge jeweils rückwärts aus ihren Parkbuchten herausfuhren und miteinander kollidierten, wurde damit meist eine gleich hohe Verantwortlichkeit der beiden Beteiligten, mithin eine Haftungsverteilung 50:50 angenommen. (Haftungsverteilung bedeutet dabei nicht, dass jeder seinen Schaden selbst trägt, sondern dass jeder von beiden bei dem jeweils anderen bzw. bei dessen Kfz-Haftpflichtversicherung 50% des eigenen Schadens ersetzt verlangen kann.)

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Grundsatzentscheidungen nun zwar keine abweichende Haftungsquote für diese Unfallkonstellationen festgelegt. Er hat aber die Anwendung des obigen Anscheinsbeweises gegen denjenigen, der zum Zeitpunkt der Kollision möglicherweise bereits gestanden hat, verneint. Dies bedeutet, dass unter Umständen eine vollständige, jedenfalls aber eine überwiegende Haftung desjenigen angenommen werden kann, der gegen den anderen Pkw gefahren ist, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieser bereits stand.  Auch wenn damit der Anscheinsbeweis gegen ihn nicht greift, kann sich eine Haftung jedoch weiterhin noch aus der Betriebsgefahr des Fahrzeuges oder aus anderen Umständen, aus denen auf ein Verschulden des ursprünglich ebenfalls Rückwärtsfahren geschlossen werden kann, ergeben.

Jessica A. Gralher
Rechtsanwältin