Zu Lebzeiten lässt sich der Erblasser in nicht wenigen Fällen hinsichtlich seiner Vermögensverhältnisse nicht in die „Karten sehen“. Zum Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft ist deshalb dem Erben der Nachlass nicht in allen Einzelheiten bekannt.

Stellt sich nach Annahme der Erbschaft heraus, dass der Nachlass überschuldet ist, stellt sich deshalb die Frage, ob der Erbe die Annahme der Erbschaft anfechten und die Erbschaft anschließend ausschlagen kann.

Die Annahme der Erbschaft kann wirksam angefochten werden, wenn der Erbe konkrete Vorstellungen darüber hatte, welche Nachlasswerte im Nachlass vorhanden sind, diese Vorstellungen sich jedoch als unzutreffend herausstellen.

Lediglich eine Hoffnung auf einen werthaltigen Nachlass, die sich dann nicht erfüllt, ist kein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses.

Der Irrtum über die Überschuldung des Nachlasses begründet ebenso ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft wie fehlgehende Erwartungen über die weitere Entwicklung der Verbindlichkeiten oder das spätere Verhalten der anderen Erben. Auch der Irrtum über die Höhe der Quote des Erbteils berechtigt zur Anfechtung. Zu den Eigenschaften der Erbschaft gehören auch Auflagen und Beschränkungen des Erben (z.B. durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung oder die Einsetzung eines Nacherben). In nicht seltenen Fällen führen auch angeordnete Vermächtnisse zu erheblicher Reduzierung des Nachlassvermögens.

Besondere Vorsicht sollte der pflichtteilsberechtigte Miterbe walten lassen, wenn zu Gunsten eines anderen Miterben ein sogenanntes Vorausvermächtnis angeordnet wurde und nach Erfüllung des Anspruchs das Nachlassvermögen weitestgehend aufgebraucht ist.

Der pflichtteilsberechtigte Erbe sollte in diesem Fall die Ausschlagung der Erbschaft in Erwägung ziehen, um seinen eigenen Pflichtteilsanspruch zu erhalten. Sollte er die Erbschaft bereits angenommen haben (z.B. durch Ablauf der 6-wöchigen Ausschlagungsfrist), ist die Anfechtung der Erbschaftsannahme in Erwägung zu ziehen.

Die Anfechtungsfrist beträgt 6 Wochen und beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Die formellen Voraussetzungen sind einzuhalten.

Peter Lesch
Rechtsanwalt u. Dipl.-Kfm.
Fachanwalt für Erbrecht